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Ferdinand Viconcaij über The Great Escape von Heinz Schmöller

 

Seit jeher gibt es Künstler, die Götzen und Gottheiten entdecken oder stiften. Menschen suchen in der Nähe ihrer Schöpfungen Zuflucht und Erfüllung. In ihrer ursprünglichen priesterlichen Funktion befreit Kunst von den Sachzwängen der Realität, von den Ansprüchen, bösen Blicken und Verurteilungen durch die Mitmenschen. So spricht Jesus: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Sprache und Charisma überwinden die Schrecknisse und Lasten der Realität. Viele finden hier Trost jenseits zwischenmenschlicher Willkür, finden eine neue Heimat in einem medialen Universum der Unmittelbarkeit von Zeichen und Bedeutungen. Mediale Verheißungen und Schockwirkungen überlagern und entkräften die unzuverlässigen Bindungen der Welt. Millionen von Menschen teilen seit Jahrtausenden die Erfahrung einer Befreiung und einer bedeutungsstiftenden und schützenden Kraft in einer Gegenwart, die in Sprache und Bild beschworen wird. So sprach bereits ein Psalmist: „Herr, du bist unsere Zuflucht für und für“ und Martin Luther dichtete: „eine feste Burg ist unser Gott“.
Heinz Schmöller (geb. 1975) steht in dieser Tradition priesterlichen Kunstschaffens. Mit seinem großen Hasen schuf er nicht nur einen dekorativen Gegenstand oder einen erhobenen Zeigefinger gesellschaftlicher Kritik: Er bietet dem Rezipienten ein neuartiges und zeitgemäßes Götterbild, eine innovative Fluchthilfe. Der Hase vereint in sich die Versprechen einer Flucht in ungebrochene Harmonie und eine Einheit der Gegensätze. Er verbindet die Assoziation an Beruhigungsmittel für Kinder, der stillen Freundlichkeit des Spielzeughasen mit der existenziellen Stärke einer ruhigen Kraft, ja eines himmlischen Friedens, der aus den Augen des zu erhabener Monumentalität gewachsenen Standbilds erstrahlt und eine Brücke schlägt zwischen dem Kind und dem gereiften Erwachsenen in uns. Und in ganz ähnlicher Weise, wie der Gott des Christentums ein leidender Gott ist, ein Gott, der ermordet wird und stirbt und gerade aufgrund seiner immanenten Dialektik zwischen Macht und Schwäche auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken kann, besitzt Schmöllers monumentaler Hase das Potential zu einer empathischen Gottheit, die um die Begrenztheit des Menschen weiß. Der Hase ist nicht nur Zufluchtsort, steht nicht nur für Macht, Sicherheit und Größe, sondern für Fluchtimpuls, für Flucht und Flüchtigkeit. Der erhabene Hase ist ein flüchtender und flüchtiger Gott. Er ist die Einladung, in eine göttliche Flucht zu flüchten. Und Schmöllers Fluchtangebot wirbt mit der Überschrift „The Great Escape“, was so viel heißen kann, wie großartige, grandiose Flucht. In ihr ist der Flüchtende nicht klein und gedemütigt, sondern wird groß und größer, fühlt sich ebenso emporgehoben, wie der Hase stets zu wachsen scheint.

F. Vicon, 2012